Diese Frage stellte mir ein Zuhörer am Ende eines Podiumsgesprächs mit der Bemerkung, ich sei ja der Praxisbezogenste unter den vier weisen Teilnehmenden. An diesem Gespräch nahmen ein Manager einer führenden Versicherungsgesellschaft, ein „FinTech-Mann“, ein Berater der grössten Wirtschaftsprüfergesellschaft und ich teil. Der FinTech-Unternehmer war der Zukunftsbezogenste, der Versicherungsmann der Konservativste und der Berater bewegte sich dazwischen. Der Fragesteller hatte aber den Nagel auf den Kopf getroffen! Wozu nützt eine Gesprächsrunde zum Thema „Zukunft der Bankbranche in der Schweiz“, wenn keine Vision zu erkennen ist! Ich konnte keine sofortige Antwort geben. Die Frage regte mich jedoch zum Nachdenken an.
Mensch oder Staat?
Meine Hobbys sind sehr einseitig: Berge, etwas Politik und vor allem ein grosser Wissensdurst über das Geldsystem. Aufgrund letzteren Hobbys durfte ich vor Jahren den Röpke Preis des Liberalen Instituts entgegennehmen. Es war mir eine Ehre, denn Röpke beeinflusste mein Denken stark. Röpkes Werke Mitte des letzten Jahrhunderts zeigen auf, wie sehr das Geldsystem jeweils ein Abbild der Zeit und das Bankwesen ein verlängerter Arm des Geldsystems ist. Deshalb hat sich auch das Banksystem immer wieder verändert.
Mit diesem Gedanken wage ich mich auf das Glatteis einer Prognose, wie das Bankgeschäft im Jahr 2025 aussehen könnte. Die unsicherste Grösse in solchen Prognosen ist der Staat selber, der über sein Geldmonopol sowie durch willkürliche Regulierungen logische Überlegungen verzerren kann. Der Faktor Mensch ist hingegen viel berechenbarer, denn er übernimmt Verantwortung für sein Eigentum.
Langfristig bleiben die Handlungen und Wünsche der Menschen entscheidender als das staatliche Handeln. Auch die heute vorherrschende Allmacht der Staaten und Zentralbanken wird eines Tages ein Ende haben. Langfristig, vielleicht schon 2025, werden wir wieder ein Bankensystem haben, welches vermehrt auf die Bedürfnisse von Menschen achtet, statt lediglich ein verlängerter Arm des Staates zu sein.
Staatliches Zwangsgeld oder Marktgeld?
Röpke hat mit seinem Werk „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ mein Denken zur immer wiederkehrenden Anpassung des Geldwesens an die Gesellschaftsentwicklung geprägt. Zu-dem hat der grosse Ökonom Friedrich August von Hayek nach Auflösung der Goldbindung durch Präsident Richard Nixon im Jahre 1971 mit seinem Buch „Entnationalisierung des Geldes“ den notwendigen Weg vorgegeben. Er sagte voraus, dass nur der Wettbewerb unter privaten Währungen das Wohlstand fördernde kapitalistische Gesellschaftssystem retten könne. Er sah voraus, dass das reine Papiergeldsystem erneut Tür und Tor für Inflation öffnen würde. Die Geschichte untermauert dies mit unzähligen Beispielen. Die Hyperinflation von 1923 nach der Überschuldung des ersten Weltkriegs, dann mit der Währungsreform von 1948 oder auch in früheren Jahrhunderten, beispielsweise dem Blender John Law, der mit der staatlichen Finanzierung „aushalf“.
Auch ich erfuhr in meiner Tätigkeit von den Tücken unseres monopolistischen Geldwesens. 1981, d.h. nach den grossen Währungszerwürfnissen mit einem Zerfall des Dollarwerts von 4.30 auf 1.47 zum Schweizer Franken mit Inflationszahlen gegen 8%, schrieb ich mein erstes Büchlein unter dem Titel „Indexierung des Geldes“. Darin schlug ich vor, alle Verträge inflationsindexiert auszugestalten. Daraus entstand die erste und bis anhin einzige inflationsindexierte Anleihe der Schweiz. Im Jahre 2001 folgte dann mein Konzept einer in Substanzwerten verankerten Privatwährung unter dem Titel „Der RealUnit − Zur Quelle der Geldwertstabilität“. Auf mein Währungskonzept möchte ich hier nicht weiter eingehen, aber es gilt festzuhalten, dass bereits heute Alternativen zum Zwangsgeld des Staates vorhanden sind.
Obwohl ich dem Bitcoin eher kritisch gegenüberstehe, hat der Bitcoin Eines bewiesen: Privatwährungen, welche auch als Tauschmittel fungieren, sind nicht nur denkbar, sondern auch in der Praxis umsetzbar. Ich durfte in meinem Leben viel miterleben. Aber ob ich die flächendeckende Verbreiterung von Privatwährungen sehen werde, glaube ich eher nicht. Nichtsdestotrotz bin ich sicher, dass mein jüngerer Sohn Remy, in seiner künftigen Karriere nicht nur an staatliche Währungen bei der Portfoliodiversifikation denken wird.
Endes des Finanzplatzes Schweiz?
Der Schweizer Staat sowie die Schweizer Nationalbank handeln verantwortungsvoller als der Staat respektive die Notenbanken in den meisten anderen Ländern. In einer zunehmend globalisierten Welt kann die Schweiz aber auch nicht ganz unabhängig bleiben. In Währungsangelegenheiten gibt die Weltwährung, der US Dollar, die Strömung vor. In den USA ist nicht nur der Erhalt von Kaufkraft Ziel der Notenbanktätigkeit, sondern sind es auch die Konjunkturbeeinflussung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Entsprechend zerfiel der Aussenwert des Dollars über die letzten Jahrzehnte. Die Amerikaner haben deshalb eine hohe Realwertkultur. Pensionskassen legen zu zwei Drittel in Aktien an, bei uns durchschnittlich nur zu einem Drittel. Ganz unverständlich für mich ist der Glaube an den Wert des Geldes in Deutschland mit einer absolut unterentwickelten Aktienkultur. Die Schweiz, mit ihrem seit Jahrhunderten auf Internationalität ausgerichteten Bankwesen, hat deshalb sowohl an Erfahrungsschatz wie auch in Bezug auf eine angeborene Verlässlichkeit weltweit einen Riesenvorsprung.
In den vergangenen Jahren war der Schweizer Finanzplatz ständig unter Beschuss. Die unvergleichbare Rechtssicherheit der Schweiz, die Politik der Stabilität sowie die Jahrzehnte alte Erfahrung im Bankensektor werden dazu führen, dass Schweizer Bankdienstleistungen vermehrt nachgefragt werden.
Was bringt die FinTech-Entwicklung?
Als junger Filialchef einer Grossbank erlebte ich noch die Zeit, in welcher der Mensch nicht nur aus schön formulierten Marketinggründen im Zentrum stand, sondern noch als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen wurde. Der damalige Generaldirektor schickte mich aufgrund meines Diploms als eidgenössisch diplomierter Buchhalter in meinen Heimatort Schwyz mit dem Auftrag, die Kreditanträge für Ihn als einen zahlengläubigen Banker verständlicher zu machen. Mein Vorgänger in Schwyz vertraute nämlich anderen Grundsätzen bei der Kreditvergabe. So riet er mir: „Karl, sei vorsichtig, in Brunnen meint man, mit Ferien machen könne man Geld verdienen“ oder „im Urnerland herrsche bereits ziemlich viel Italianità vor“. Die Bilanzzahlen der Gesuchsteller waren meinem Vorgänger weniger wichtig. Als ich dann nach sieben Jahren nach Luzern beordert wurde, übergab ich meinem Nachfolger − trotz all meiner Kenntnisse im Lesen von Bilanzen − mehr Kreditsorgen als mein Vorgänger mir mit seiner Menschenkenntnis. Er achtete darauf wie die Kunden reden, beobachtete ihre Gesten und/oder wusste gar welchem Sternzeichen sie angehörten.
Auch die Kompetenzordnung spiegelte eine Entwicklung weg vom Menschen hin zur Maschine. Die 30 Mitarbeiter zählende Filiale Schwyz genoss noch höhere Kompetenzen als die Filiale Luzern mit einer Belegschaft von 200 Personen. Das war der Beginn des Computerzeitalters. Je mehr sich die sich breit entwickelnden Stäbe im Hauptsitz über das Computersystem in die Arbeit eines Filialchefs einmischen konnten, desto weniger spielte der Mensch, also der Kunde, eine Rolle bei der Kreditwürdigkeit.
Wer meint, die FinTech-Welle sei neu, irrt. Für mich ist diese Entwicklung sogar ein erfreulicher Prozess. Für den Zahlungsverkehr braucht man die Bank schon lange nicht mehr. Mit der Blockchain-Technologie kann beispielsweise der Zahlungsverkehr sogar noch verbessert werden. In der mittelfristigen Zukunft werden auch Entwicklungen wie die automatisierte Vermögensverwaltung zunehmen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass man sich langfristig zurückbesinnen wird, denn nur Menschen und nicht Maschinen können sinnvolle Anlageentscheide fällen sowie, wie im oberen Beispiel erwähnt, Kreditanträge beurteilen. Die FinTech-Industrie wird sich daher m.E. auf ihre Kernkompetenz, Prozesse zu optimieren, beschränken.
Mein Bild von der Bank 2025
Der Kunde wird sich in Zukunft nicht zuletzt aufgrund des Vertrauensschwundes in die All-macht staatlicher Eingriffe und Lenkungsmassnahmen vermehrt echten Bankiers zuwenden. Dies sowohl im Kredit- als auch im Anlagewesen, um sich eigenverantwortlich zu engagieren. Ganz besonders in der Geldanlage wird das seit den letzten 50 Jahren vorherrschende blinde Vertrauen in den Staat einer erhöhten Skepsis weichen und dieserart vor allem unabhängigen Anlagebanken eine gute Zukunft bescheren.
Dies, weil jene, die langfristig denken und sich von den Marktverzerrungen durch die Noten-banken nicht zu kurzfristigem Verhalten drängen lassen, die Früchte eigenständigen Handelns werden ernten können. Zudem führen die erhöhten Eigenmittelvorschriften zu einer Reduktion der Bankbilanzen. Standardisierte Kreditbedürfnisse wie Eigenheimhypotheken werden deshalb durch Anbieter ausserhalb des Banksystems abgedeckt werden. Im Jahre 2025 könnte das Bild des Bankiers etwa so aussehen: Er wird vermehrt zum Ratgeber − ähnlich wie sich die Funktion der früheren Revisionsgesellschaft mit buchhalterischen Tätigkeiten zur heutigen Unternehmensberatung entwickelt hat.
Karl Reichmuth, Privatbankier Reichmuth & Co.