Es steht für mich ausser Frage, dass geschichtlich gesehen, die Emanzipation des Bürgertums nach dem Mittelalter mit dem Überhandnehmen des Geldes als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel zu tun hat. Die fleissige, arbeitende Schicht konnte dank Bargeld ihren nach und nach akkumulierten Wohlstand vor dem parasitären Adel verstecken und verheimlichen. Die Anonymität des Zahlungsmittels Geld fand dann seine Fortsetzung in der Anonymität des Kapitals von Unternehmungen. Die Gründerzeit, die grossen wirtschaftlichen Aufschwünge im zwanzigsten Jahrhundert wären ohne die aus der Anonymität fliessende Rechts- und mithin Eigentumssicherheit kaum denkbar gewesen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir uns in Richtung einer postkapitalistischen, entanonymisierten Gesellschaftsform bewegen. Was im Kleinen des Zahlungsverkehrs bereits gilt, beginnt auch im Bereich des Kapitalbesitzes um sich zu greifen: Eigentum an Aktien wird zur nachvollziehbaren Angelegenheit, und wir sehen den Tag kommen, da die ersten Aktionäre von Zigarettenfirmen wegen Beihilfe zur Körperverletzung eingeklagt werden. Italienische Gerichte machten im Fall von Stephan Schmidheiny bereits den unrühmlichen Anfang, indem sie ihn wegen blossen Besitzes an einer Firma, die im Asbestbereich tätig war, zum Täter erklärten. In einer total vernetzten, alle Transaktionen und Positionen nachvollziehungsfähigen Welt werden die Rechtsrisiken zum grossen und wachstumshemmenden Risiko werden. Wo dauernd die Kriminalisierung droht, entfaltet sich keine Freude am Arbeiten und am Leben. Analoges droht im Bereich der darstellenden Kunst. Laut NZZ vom 18. Juli 2015 will die deutsche Regierung ein Gesetz einführen, das für jedes Bild, gleich ob in öffentlichem oder privatem Besitz, die lückenlose Rückverfolgung erzwingt. Ansonsten wird es nicht mehr handelbar (konvertibel …) sein.
Ein weiteres Risiko besteht in der technisch völlig unproblematischen Möglichkeit von autorisierten Instanzen, auf Buchgeld zugreifen zu können beziehungsweise die Verfügbarkeit von Bargeld einzuschränken. Sozusagen per Knopfdruck können Konti teilweise, zeitweise oder ganz gesperrt, gegebenenfalls auch teilweise oder ganz geleert werden. Auf Zypern und in Griechenland wurde uns vorgemacht, wie solche Prozesse vor sich gehen könnten. Was dem Buchgeld, so überlegen es punkto Abwicklungseffizienz gegenüber dem Bargeld bereits ist und dank allen möglichen und unmöglichen Applikationen übers Mobiltelefon noch wird, im Vergleich zum Bargeld mangelt, ist die Voraussetzungslosigkeit der Konvertibilität in eine andere Währung und die Voraussetzungs- und Folgenlosigkeit des Wandels in reale Güter und Dienstleistungen. Wenn die «autorisierten Instanzen» mit jenen staatlichen Institutionen identisch sind, welche den notorisch unterdotierten Fiskus speisen sollten, dann ist das Enteignungsrisiko beim Buchgeld evident. Der Heimatstaat kann auf diese Weise für den Bürger zum Hauptrisiko werden, wie es früher der parasitäre Adel mit seiner Neigung zu Pogromen gegenüber der arbeitenden Schicht der Gesellschaft war.
Schliesslich darf nicht unerwähnt bleiben, dass Buchgeld aus einer Forderung an eine Drittinstanz, in den meisten Fällen an eine Bank, besteht. Buchgeld ist deshalb so gut, wie es die finanziellen Qualitäten der Bank als Schuldnerin beziehungsweise die durch den Regulator gesetzten Sicherungsmechanismen sind. Im Fall Griechenlands zeigt sich, wie prekär eigentlich die Situation des Bankgläubigers ist, wie wenig «Stresstests», wie sie von der EU verschrieben wurden, bedeuten und wie klein am Ende ein Sicherungsfonds für Guthaben ausfällt, zumal, wenn dessen Mittel zu allem Übel auch noch (aus Sicherheitsgründen …) in Staatsanleihen des eigenen Landes hinterlegt sind. Nicht viel besser steht es um eine «Too-Big-to-Fail»-Garantie eines Staates, der selber in Schieflage gerät.
Insgesamt also stehen den unbestreitbaren technischen Effizienzvorteilen von über Buchgeld laufenden Transaktionen gewichtige Risiken und auch direkte Einbussen in Bezug auf Rechtssicherheit, Privatheit und Schuldnerqualität gegenüber. Da diese Risiken und Einbussen zum Teil latenter Natur sind, prognostiziere ich eine Fortsetzung des Siegeszugs von Buchgeld über Bargeld und, ob man das gerne hört oder nicht, da und dort bald einmal ein gänzliches Verschwinden von Bargeld als Zahlungsmittel. Skandinavien und Holland sind auf diesem Weg schon weit fortgeschritten, währenddem sich Deutschland als erstaunlich bargeldaffin erweist. Vorderhand völlig unvorstellbar ist das Verschwinden der Dollarnoten in Drittwelt- und Schwellenländern.
In der Schweiz weist zwar Vieles darauf hin, dass nach wie vor Banknoten als Wertaufbewahrungsmittel in Schliessfächern, da und dort wohl auch unter der Matratze, in sehr hoher Zahl verwendet werden. Der auffällig hohe Umlauf von Tausendernoten ist kaum anders zu erklären. Dieser statistisch unterlegten Tatsache steht nun neuerdings jedoch die extreme Zurückhaltung der Geschäftsbanken entgegen, überhaupt noch Transaktionen mit Bargeld durchzuführen. Wer mehr als CHF 25’000.- eintauschen will, muss sich bei seiner Bank erklären. Höhere Beträge sind schwer oder gar nicht loszuwerden oder zu beziehen. Dem Vernehmen nach gibt es bereits einen Schwarzmarkt von Anbietern aus ehemaligen Ostblockländern, die gegen einen Einschlag von bis zu zwanzig ( !) Prozent solche Transaktionen noch vornehmen. Anders gesagt: Die voraussetzungs- und folgenlose Konvertibilität des Schweizer Bargelds ist längst Geschichte. In vielen Ländern Europas herrschen noch viel weitergehende Restriktionen zur Verwendung von Bargeld. Bargeld ist somit nicht nur technisch out, sondern auch regulatorisch.
Möglicherweise entstehen neue Formen von ‚Geld’ auf dem digitalen Kontinent. Die Internetwährung bitcoin könnte den Anfang gemacht haben. Sie kommt ohne Notenbank aus, ihre Mitglieder und Teilnehmer nehmen dezentral die Geldschöpfung wahr. Trotz der dezidierten Sicht der bekannten Volkswirtschaftler Eugene Fama und Richard Thaler, wonach bitcoins lediglich einen Wert hätten für „Crooks and Tax Cheats“, handelt es sich um ein interessantes alternatives Geldprodukt. Worin liegt das Spannende an einer Kryptowährung wie bitcoin? Ganz klar im Umstand, dass es möglich ist, Transaktionen ohne den Umweg über Banken, also Peer-to-Peer, zu tätigen. Wer der bitcoin-Welt angehört, kann direkt von einem anderen Teilnehmer begünstigt werden oder andere begünstigen; die bitcoins fliessen aus dem einen Wallet in das andere. Die Transaktionskosten sind vernachlässigbar gering; für eine rasche Abwicklung (innerhalb weniger Minuten) zahlt man zwar etwas mehr als für Transaktionen mit tiefer Priorität, die allerdings auch nicht lange dauern, kostenträchtiger sind auch Transaktionen mit mehrfachen Adressaten. Dennoch: man bewegt sich im Mikrobereich.
Bitcoin ist etwas völlig Neues und ist potentiell dem klassischen Zentralbanksystem weit überlegen, denn es ist den Übergriffen des politischen Machtsystems entzogen. Wie sich digitale Kryptowährungen wie bitcoin in Extremereignissen wie Kriegen und Wirtschaftskrisen verhalten werden, ist selbstverständlich noch unklar und das bisherige statistische Material auch zu dürftig, dennoch sollte die Entwicklung im Auge behalten werden.
Die Basis dieses Beitrags sind die Ausgaben 14 und 17 der „bergsicht“ der M1 AG.
Dr. Konrad Hummler, M1 AG, privater Think-Tank für strategische Beratung von Unternehmen