Die Herkunft feministischen Gedankenguts basiert zu einem grossen Teil auf dem Ziel der Gleichstellung von Frau und Mann. Was „gleich“ in diesem Zusammenhang bedeutet und wie gleich Männer und Frauen sein sollen, wird je nach Strömung innerhalb des Feminismus unterschiedlich interpretiert. Liberales Gedankengut und Gleichmachung verstehen sich aber nur sehr schlecht. Einem zu Ende gedachten Liberalismus ist inhärent, dass die Menschen unterschiedlich sind, und dass dieser Zustand nicht durch äusseren Zwang nivelliert werden soll. Folglich ist es schwer zu erahnen, wie feministisches und liberales Denken versöhnt werden können.
Politiker und Parteien sowie Medien aller Couleur haben den Begriff des „Feminismus“ für sich monopolisiert, so dass die meisten Menschen unter „Feminismus“ gemeinhin „Staatsfeminismus“ verstehen. Staatsfeminismus bedeutet ein staatliches Programm hin zur Gleichstellung von Mann und Frau in allen Belangen. Die meisten Feministinnen waren und sind überzeugt, dass der Staat dazu beitragen soll, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben. Anfangs war das Ziel die formalrechtliche Gleichstellung der Geschlechter. Mit der Zeit wandelte sich dies in ein materielles Gleichheitsverständnis um.1 Doch woher wissen Politiker, was zur selbstbestimmten Freiheit der Frau beiträgt? Warum sollte staatliche Intervention diesbezüglich helfen? Grundsätzlich soll die Gleichstellung durch ständige Reformen des Ehe- und Scheidungsrechts, durch die Einführung des Frauenstimmrechts und spezifische Gleichstellungsartikel in der Verfassung erreicht werden. Feministinnen fordern aber auch wirtschaftliche Umverteilungsprogramme von wertschöpfungsstarken Sektoren zu wertschöpfungsschwachen Sektoren, in denen mehrheitlich Frauen beschäftigt sind. Mit Hilfe dieser Prozesse – so die weit verbreitete Meinung – würde die Gleichberechtigung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Realität gewiss automatisch eintreten. Dabei versucht man im Gesetzgebungsprozess durch fortwährende Abwägungen anhand von Einzelfragen das postulierte Ideal materieller Gleichheit zu erlangen.
Dass der Staat, und damit ein grosser Teil des geltenden Rechts, auf einem durchwegs patriarchalen Gesellschaftsverständnis beruht, geht dabei vergessen.2 Entsprechend muss die Kategorie „Frau“ wiederholt angerufen werden, um Gleichberechtigungsforderungen stellen zu können.3 Dadurch wird die Dichotomie aber laufend betont und im politischen Diskurs perpetuiert. Man spricht denn auch vom „feministischen Dilemma“4, denn einem innerstaatlichen Bedürfnis nach Gleichberechtigung zu entsprechen, ohne in den „rechtsstaatlichen“ Kategorien „Mann“ und „Frau“ zu argumentieren und zu denken, ist unmöglich.
Die Geschlechter befinden sich aber nicht seit jeher in diesem Machtverhältnis, in welchem der Mann wirtschaftlich über der Frau steht. Es war vielmehr der durchschnittlich physisch stärkere Körper, welcher von der neolithischen bis zur industriellen Revolution den Männern die Vorherrschaft ermöglichte, indem sie einen Vorteil hatten in der Aneignung und Akkumulation lebenswichtiger und machtgenerierender Ressourcen. Die Frauen wurden ins Haus (das Private) gedrängt, während der Mann für die Erarbeitung der Nahrung sorgte, und sich dadurch in den sich entwickelnden Herrschaftsstrukturen (das Öffentliche) etablieren konnte. Durch die Industrialisierung und den Freihandel wurde der Frau die wirtschaftliche Unabhängigkeit erstmals wieder ermöglicht, wobei gleichzeitig die hierarchisierende Unterteilung in eine öffentliche und eine private Sphäre durch eine einseitige Liberalisierung des Marktes gefestigt wurde.5 Wirtschaftlich hat die physische Überlegenheit des Mannes längst ihre Bedeutung verloren, da sich im Wettbewerb der Ideen nicht der oder die physisch Stärkere durchgesetzt hat, sondern die zunehmende Wichtigkeit intellektueller Fähigkeiten die Bedeutung blosser Körperkraft stark reduziert hat. Die öffentlich institutionalisierte Zweigeschlechtlichkeit basiert allerdings weiterhin auf Geschlechterverhältnissen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, da das staatliche System träge ist, und es neue Ideen und damit auch neue Gesellschaftsformen somit schwer haben. Den Frauen wurde aber durch diesen Industrialisierungsprozess hin zum Wohlfahrtsstaat suggeriert, dass sie durch Staates Gnaden in den neoliberalen Markt integriert und somit den Männern gleichgestellt würden. Ein Grossteil der Frauenbewegung war damit zufrieden gestellt.
Die ungerechte (nicht ungleiche) Behandlung von Frauen gegenüber Männern, deren Ausbeutung und Misshandlung durch Männer und andere Frauen wird durch kollektive Mechanismen begünstigt, da diese Macht generieren und den Rückzug in die Anonymität begünstigen. Das Tragische ist, dass diese ungerechte Behandlung durch staatliche Institutionen gestützt und verfestigt wird. Hierbei ist etwa an die Institution der Zivilehe zu denken, die ursprünglich die Herrschaft des Mannes über die Frau festhielt; oder die Systematisierung des Privatrechts im Allgemeinen, in welchem das Familienrecht als privat angesehen wird, in welchem die „Parteien“ fürsorglich miteinander umgehen sollen, und das es zu regulieren gilt, während das „übrige“ Vertragsrecht als öffentlich, individuell-voluntaristisch und männlich eingestuft wird. Eine kürzlich gemachte Erhebung durch die FRA (European Union Agency for Fundamental Rights) zeigt, dass die bisherige Gangart nicht die richtige sein kann. Die Studie kommt zum Schluss, dass „Gewalt gegen Frauen ein in der EU weit verbreiteter Menschenrechtsverstoß mit einer hohen Dunkelziffer ist“6. Überraschend war bei der Studie insbesondere, dass in den nordischen Ländern, in welchen die Frauen den Männern wirtschaftlich fast gleichgestellt sind, diese am meisten von körperlicher und sexueller Gewalt betroffen sind.7 Es scheint fast, als würden die seit Jahrhunderten bestehenden staatlichen Strukturen nicht ausreichen, um so etwas Fundamentales wie die physische Unversehrtheit der Frau garantieren zu können. Es wäre schön, wenn im politischen Diskurs wieder öfter daran erinnert würde, dass feministische Ideale nicht nur die Gleichheit vom Frau und Mann anvisieren, sondern im Besonderen die Freiheit der Frau und damit auch des Individuums an sich. Solange wir in einem Staat mit einem Rechtsystem wie dem unseren leben, verstünde es sich von selbst, dass Frauen und Männer von den gleichen Rechten und Pflichten profitieren sollten.8 Eine in Freiheit gelebte, respektierende und respektierte Andersartigkeit wird damit aber nicht automatisch erreicht. Die bereits genannte EU-Studie bestätigt dies leider.
Die ungerechte Behandlung von Frauen geht tiefer und deren Gründe sind zu vielschichtig, als dass es genügen würde, sich auf den Staat als Heilmittel zu verlassen. Es zeigt sich vielmehr, dass eine Zunahme staatlicher Intervention nicht zu mehr Freiheit für die Frau führt, denn eine durch Zwang erreichte Scheingleichstellung der Geschlechter betont die Ungleichheit und versperrt die Sicht auf bessere Ideen. Deshalb ist es wichtig, die ersten Schritte in eine Richtung für mehr Freiheit zu wagen. Statt sich vom Staat bewegen zu lassen, müssen sich die Frauen wieder bewegen. Dies könnte zum Beispiel bedeuten, sich des eigenen ökonomischen Potentials bewusst zu werden und demgemäss zu handeln; sowohl als Individuum als auch als Gruppe. Wenn man den Feminismus als Befreiung der Frau versteht, so lässt er sich durchaus mit liberalem Gedankengut vereinen.
Letizia Angstmann ist Doktorandin am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich.
1 Siehe BÜCHLER A./COTTIER M., Legal Gender Studies: Rechtliche Geschlechterstudien, Zürich/St. Gallen 2012, S. 101 ff; Es ist gefährlich, den Begriff des Feminismus homogen zu interpretieren, staatlich oder nicht-staatlich, da es „den Feminismus“ als klar umgrenzte und eindeutig identifizierbare Ideensammlung nicht gibt.
2 Der seit Jahrzehnten anhaltende Gesetzgebungsprozess hin zur Gleichstellung der Frau mit dem Mann, ändert nichts daran, dass die Grundsystematik des Rechts auf patriarchalen Strukturen basiert.
3 Siehe BÜCHLER/COTTIER, S. 20; mit weiteren Hinweisen.
4 Ibid. für weitere Details und CORNELL D., Beyond Accommodation. Ethical Feminism, Deconstruction and the Law, 1991, S. 3.
5 Siehe zum Ganzen auch SCHERRER S., Für einen wirklich liberalen Feminismus, in: Die Zürcherin, 24. April 2013 und HALLEY J./RITTICH K., Critical Directions in Comparative Family Law: Genealogies and Contemporary Studies of Family Law Exceptionalism, in: The American Journal of Comparative Law, (58) 2010, S. 756.
6 Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung, Ergebnisse auf einen Blick, FRA, 2014, S. 9.
7 Ibid., passim. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Verfasser der Studie zu Recht darauf hinweisen, dass berücksichtigt werden muss, „dass in Gesellschaften, in denen Gewalt durch den Partner/die Partnerin weitestgehend als Privatsache angesehen wird, Fälle von Gewalt gegen Frauen wahrscheinlich nicht der Familie und FreundInnen erzählt und auch selten der Polizei gemeldet werden.“ Ibid., S. 36. Dennoch ist leider davon auszugehen, dass die Resultate in den nordischen Staaten eher der Realität entsprechen, während sich die meisten Frauen gar nicht getraut haben, die Übergriffe zu melden. Es zeigt sich, dass staatliche Interventionen nicht die Lösung sind, um Männer „zu erziehen“. 8 Entsprechend möchte die Autorin festhalten, dass es ihr bewusst ist, dass sie ohne die Vorarbeit vieler Frauen, welche innerhalb des staatlichen Systems gekämpft haben, diesen kleinen Beitrag gar nicht, oder nicht unter ihrem eigenen Namen