Prof. em. Roland Vaubel, Universität Mannheim
Friedrich A. von Hayek war ein entschiedener Anhänger des institutionellen Wettbewerbs. Er setzte sich dafür ein, dass die Politiker und Bürokraten der verschiedenen Länder um die besten Lösungen wetteifern. Im Vordergrund stand für ihn der Gedanke, dass der Wettbewerb ein Entdeckungsverfahren ist. Die gesellschaftliche Evolution schreitet voran, indem die Entdecker von den Anderen nachgeahmt werden. In der „Constitution of Liberty“ (1960) heißt es dazu:
„So long as some countries lead, all others can follow although the conditions for spontaneous progress may be absent in them“ (47). „The benefits of freedom are therefore not confined to the free. … Unfree societies benefit from what they obtain and learn from free societies“ (32).
In der Demokratie bedeutet das, dass die Wähler in jedem einzelnen Land die „Performance“ ihrer eigenen Politiker und Bürokraten mit den Resultaten in anderen Ländern vergleichen können und deshalb eher gegen Staatsversagen protestieren.
Aber Hayek beschränkt sich nicht auf diesen Vorteil des zwischenstaatlichen Wettbewerbs. Es kommt hinzu, dass die Konkurrenz die Politiker und Bürokraten in Schach hält. Sie werden gezwungen, sich stärker an den Wünschen der Bürger zu orientieren. In seinem Aufsatz „Choice in Currency“ (1976) bezieht Hayek diesen Gedanken auf die Geldpolitik:
„There could be no more effective check against the abuse of money by the government than if people were free to refuse any money they distrusted and to prefer money in which they had confidence … Therefore, let us deprive governments (or their monetary authorities) of all power to protect their money against competition. … I prefer the freeing of all dealings in money to any sort of monetary union also because the latter would demand an international monetary authority which I believe is neither practicable nor even desirable“ (18, 21).
Der Währungswettbewerb schützt die Bürger vor hohen Inflationsraten, denn er gibt ihnen die Möglichkeit, in stabilere Währungen abzuwandern. Die Nachfrager von Geld können zu kostengünstigeren Anbietern wechseln. Die (Opportunitäts-) Kosten der Geldhaltung sind die Zinseinnahmen, die dem Besitzer dadurch entgehen, dass er kein zinstragendes Wertpapier hält.
Damit hat Hayek zwei Mechanismen beschrieben, die als „Abwanderung“ und „Widerspruch“ bekannt geworden sind (Albert O. Hirschman, Exit, Voice and Loyalty, 1971). Sie schützen nicht nur vor Inflation, sondern auch – wie Adam Smith betont hat – vor überhöhten Steuern und exzessiven Regulierungen. Der Wettbewerb der Staaten ist der Garant der Freiheit. Das hatte vor Smith schon David Hume erkannt:
„A number of neighbouring and independent states, connected together by commerce and policy (gives the stop) both to power and to authority. … A large government is accustomed by degrees to tyranny“ (Essays Moral, Political and Literary, ed. by E.F. Miller, 1742/1985, S. 119).
Obwohl Hayek eine Weltwährung oder eine europäische Währung also strikt ablehnte, war er nicht generell gegen eine internationale Zusammenarbeit in anderen Politikbereichen. Es kommt darauf an. Worauf? In seinem Klassiker „The Road to Serfdom“ (1944) hat Hayek das Kriterium definiert:
„There must be a power which can restrain the different nations from action harmful to their neighbours, a set of rules what a state may do, and an authority capable of enforcing these rules. The powers which such an authority would need are mainly of a negative kind, it must above all be able to say „No“ to all sorts of restrictive measures. … But this does not mean that a new super-state must be given powers which we have not learned to use intelligently even on a national scale, that an international authority ought to be given power to direct individual nations how to use their resources“ (231f.).
„Actions harmful to their neighbours“ sind negative externen Effekte, d.h. Übergriffe ohne Zustimmung der Betroffenen – im Extremfall Krieg, aber auch grenzüberschreitende Umweltbelastungen oder das Fischen in internationalen Gewässern. Damit ist Hayeks Kriterium dasselbe, das auch dem klassischen Freiheitsziel zugrunde liegt: der Staat beschränke sich darauf, die Bürger vor Übergriffen Anderer zu schützen. Dasselbe Ordnungsprinzip, das innerhalb eines Staates gilt, soll auch die Beziehungen zwischen den Staaten bestimmen. Hayek ist konsistent.
Aus dem klassischen Freiheitsziel folgt, dass der Staat das Eigentum schützen soll und nicht in die Vertragsfreiheit eingreifen darf (es sei denn, der Vertrag hat Übergriffe zum Ziel). Auf die internationale Ebene übertragen heißt dies, dass Handel und Kapitalverkehr nicht von den Staaten beschränkt werden dürfen. Deshalb weist Hayek der internationalen Organisation auch die Aufgabe zu, „to say No to all sorts of restrictive measures“.
Gehören zu den „actions harmful to their neighbours“ auch die sogenannten „market spillovers“ oder „pekuniären Externalitäten“, d.h. die internationalen Interdependenzen durch den Markt? Denn es kann ja sein, dass eine falsche Geldpolitik in einem Land – zum Beispiel die amerikanische in den Jahren 1929-32 oder 2003-04 – auch die anderen Länder in Mitleidenschaft zieht. Nein, sagt Hayek, wie wir gesehen haben: in der Geldversorgung brauchen wir Wettbewerb. Interdependenzen durch den Markt beruhen auf Verträgen, also auf Zustimmung. Man kann sich von einer falschen amerikanischen Geldpolitik abhängen und ihre Wirkungen im eigenen Land kompensieren.
Aus den gleichen Gründen brauchen die Haushaltsdefizite der einzelnen Staaten oder Provinzen nicht koordiniert zu werden, obwohl sie sich über den Markt auf den gemeinsamen Realzins auswirken. Wie Robert Mundell gezeigt hat, führt die dezentrale wirtschaftspolitische Entscheidungsfindung zu einem stabilen und effizienten Gleichgewicht, wenn sich die Regierungen vernünftigerweise nicht mehr Ziele setzen, als sie wirklich erreichen können, und wenn sie ihre Instrumente richtig einsetzen. In der Theorie der Wirtschaftspolitik ist dieses Gleichgewicht als „Assignment-Lösung“ bekannt geworden.
Hayek warnt davor, den einzelnen Ländern vorzuschreiben, „how to use their resources“. Auch dies schließt eine gemeinsame Haushaltspolitik aus.
Das klassische Freiheitsziel beschränkt sich auf die Verhinderung negativer externer Effekte. Es sieht nicht vor, dass der Staat oder eine internationale Organisation positive externe Effekte honoriert. Hayeks Begründung: das erforderte „powers which we have not learned to use intelligently“. Weder die internationale Organisation noch der betreffende Staat weiß, wie groß die positiven externen Effekte sind. Das wissen nur die betroffenen Bürger. Das Staatsversagen wäre größer als das Marktversagen, zumal – wie Ronald Coase gezeigt hat – in vielen Fällen eine dezentrale Verhandlungslösung möglich ist.
Hayek ist für eine internationale Sicherheits-, Umwelt- und Fischereipolitik. Da die meisten der zugrunde liegenden negativen Externalitäten weit über Europa hinaus reichen, ist die Europäische Union für diese Aufgaben zu klein.