Christoph Heuermann, Perpetual Traveler und Berater (www.staatenlos.ch)
Freiheit ist unbeliebt. Nur eine kleine Minderheit der Menschen möchte vollständig frei leben – und noch weniger tun es tatsächlich. Dabei vergessen viele, dass Freiheit nicht zwingend kollektiv durchgesetzt werden muss, sondern jederzeit individuell gelebt werden kann. Über Strategien zu dieser individuellen Freiheit berichtet dieser Artikel. Er will zudem das Dilemma libertärer Philosophie lösen, andere zu ihrer Freiheit zu „zwingen“. Denn viele Leute ziehen Sicherheit der Freiheit vor. Das Streben nach Freiheit über den demokratischen Weg ist deshalb zum Scheitern verdammt und sowohl vom Prozess als auch von der Zielsetzung her nicht freiheitlich.
Freiheit ist individuell und muss ganz unten ansetzen. Freiheit darf man nicht aufzwingen, sondern man muss sie schmackhaft machen. Freiheit braucht Begeisterung, Freiheit braucht Vorbilder. Nur so lässt sich eine Gesellschaft durch die Handlungen vieler Individuen ändern, die selbst mit gutem Beispiel vorangehen und „frei“ leben.
Während libertäre Theoretiker in den vergangenen Jahrzehnten Argumente zur Überlegenheit des freien Marktes und zum Funktionieren einer Privatrechtsgesellschaft geliefert haben, haben sie oftmals einen Plan für die graduelle Umsetzung ihrer Ziele vermissen lassen. Doch können wir nicht einfach den Rothbardschen „Roten Knopf“ drücken, um den Staat von heute auf morgen abzuschaffen. Nur unsere eigenen Entscheidungen können uns einen Schritt näher dorthin bringen.
Agorismus und Perpetual Traveling
Der Prozess hin zu mehr Freiheit ist in der libertären Philosophie als Agorismus bekannt. Agorismus ist ein revolutionärer Markt-Anarchismus, der das politische Mittel als Verrat an der Freiheit wertet. Agoristen schaffen den Staat ab, indem sie ihm langfristig die Ressourcen entziehen und Parallelstrukturen aufbauen. Schwarzmärkte sind ein Beispiel. Agoristen kreieren mehr Freiheit für alle, indem sie selbst frei leben. Sie zwingen andere jedoch nicht zur Freiheit, sondern ermöglichen es ihnen bloss, sich ebenfalls dafür zu entscheiden.
Agorismus ist die Verbindung einer klugen Strategie für das eigene Leben mit einer enthusiastischen Haltung gegenüber den Vorteilen neuer Technologien und unternehmerischer Ideen. Agoristen erschaffen Freiheit real und machen sie damit viel greifbarer als sämtliche Bücher es je könnten.
Das Ziel eines Agoristen ist es nicht, auf eine Periode grösserer Freiheit zu hoffen, sondern mehr Freiheit zu eigenen Lebzeiten zu realisieren. Er wird zum Beispiel zum Perpetual Traveler, um mithilfe der Flaggentheorie seine Freiheit zu maximieren. Die Flaggentheorie umschreibt grob eine Strategie, Aspekte des Lebens in jene Länder auszulagern, die die meisten Vorteile bieten. Mit einem Krypto-Unternehmen schafft ein Agorist Freiheit, das ihm gleichzeitig seinen Lebensunterhalt ermöglicht. Steuerfrei wie er lebt, kann er sein Vermögen in Ideen und Technologien investieren, die in Zukunft den Grad individueller Freiheit noch steigern sollen.
Perpetual Traveler heißt übersetzt „dauerhaft Reisender“, was jedoch in die Irre führt. Zwar ist es nicht nachteilig mehrere Dutzend Länder im Jahr zu bereisen, doch klug gestaltet kann man sich allein für ein Land entscheiden. Perpetual Traveler steigen aus dem Wohlfahrtssystem ihres Heimatlandes aus, ohne sich dauerhaft in das System eines anderen Staates zu begeben. Bei ihrer Abmeldung müssen sie freilich eine Vielzahl von Hürden, wie beispielsweise Wegzugsbesteuerung oder erweitert beschränkte Steuerpflichten, umschiffen, je nach Land sogar einen neuen Steuerwohnsitz nachweisen. Richtig strukturiert leben sie allerdings nicht nur steuerfrei, sondern genießen auch eine höhere Flexibilität in fast allen Bereichen, die sich ein Unternehmer erträumen kann. Lediglich die Ortsunabhängigkeit muss durch ein Online-Business, zuverlässige Mitarbeiter oder ein gewisses Privatvermögen erarbeitet werden.
Schlaue Perpetual Traveler verfolgen zwei Mantras. Das erste Mantra besagt: “Gehe dorthin, wo du am besten behandelt wirst.“; das zweite: “Besitze nichts, kontrolliere alles.” Das erste Mantra deutet auf die sogenannte Flaggentheorie hin, nach der jeder Mensch sein Leben organisieren kann. Statt wie üblich nur die Möglichkeiten eines Staates zu nutzen, kann man sich auch „internationalisieren“ und den rechtlichen Rahmen so gut wie möglich ausschöpfen.
Durch geschickte Kombination von Wohnsitz und Firmensitz, Bankkonten und Investments, Versicherungen und anderer beanspruchter Dienstleistungen ist es möglich, seine Freiheit immens zu steigern, während man sich gemäß seiner Präferenzen ein angenehmes Leben irgendwo auf der Welt macht.
Mein persönliches Set-up
Der Autor dieses Beitrags hat etwa seinen lebenslang garantierten Hauptwohnsitz samt Steuernummer in Panama, ohne dort eine Wohnung besitzen oder sich das ganze Jahr aufhalten zu müssen. Ich muss „lediglich“ vermeiden, den klar definierten Kriterienkatalog eines jedes Landes zu erfüllen, der zur Steuerpflicht führen würde. Dazu gehören etwa Aufenthalt über ein halbes Jahr (nur 90 Tage in der Schweiz), eine ständig verfügbare eigene Wohnung (Schlüsselgewalt) oder das Zurücklassen eines Ehepartners im Heimat- oder in einem Drittland.
Panama besteuert wie 40 andere Staaten weltweit weder Auslandseinkommen noch kennt das Land Regulierungen von Briefkastenfirmen wie in den meisten Hochsteuerstaaten. Ich kann somit meine vielfältigen Projekte über diverse steuerfreie Länder kontrollieren, zum Beispiel über die Vereinigten Arabische Emirate, und das in Europa verdiente Geld ohne Körperschafts- und Einkommenssteuern ganz legal vereinnahmen. Der Geldfluss erfolgt zu geringsten Gebühren über eine litauische Bank mit eigener IBAN, während überschüssige Liquidität auf einem Konto eines Hongkonger Finanzdienstleisters, der nicht zum automatischen Informationsaustausch von Kontendaten verpflichtet ist, geparkt wird. Der grösste Teil des Einkommens wird allerdings ohnehin in Krypto-Währungen und ICOs (Anm.: öffentliches Angebot von Krypto-Währungen) investiert. Für dieses steuerfreie Set-up der drei Hauptflaggen Wohnsitz, Firma und Konto ist mit einmaligen Kosten von etwa 7’000 € und laufenden Kosten von etwa 2’000 € jährlich zu rechnen. Je nach Präferenz und Notwendigkeit gibt es sowohl günstigere als auch sehr viel teurere Lösungen.
Privat bin ich eher selten in Dubai, Panama oder Litauen anzutreffen. Ich genieße meine Freiheit etwa in der Ukraine, Kolumbien oder Thailand. Ausgestattet mit einem internationalen Mobilfunktarif eines US-amerikanischen Anbieters, einer regulären weltweit gültigen Krankenversicherung aus Schottland und mit einem Auto, das in Andorra zugelassen ist, habe ich weitere komfortable Flaggen gesetzt. Ich nutze datensichere Server, die in Island stehen, einen Broker, der in Hongkong sitzt, und mein Edelmetallbesitz ist in Singapur eingelagert. Mein Hab und Gut besteht lediglich aus Handgepäck – denn meine gesamten Firmenanteile und Vermögensgegenstände habe ich gemäß dem zweiten Mantra an eine Stiftung übertragen. Ich kontrolliere alles, aber besitze nichts. Ich habe meine Freiheit maximiert, mein Risiko minimiert und kann hochflexibel auf sämtliche Entwicklungen reagieren.
Angesichts der 206 Länder dieser Erde ist die Sandkiste der möglichen Kombinationen noch sehr viel größer. Der Perpetual Traveler betrachtet Staaten als Unternehmen, die um die bestmöglichen Dienstleistungen konkurrieren. Er entzieht sich dem System, indem er die Angebote der Staaten gegeneinander ausspielt. Er baut Parallelstrukturen auf, die jene Länder belohnen, die Freiheit wertschätzen. Privat erreicht er schnell ein komfortables Niveau an Wohlstand bei relativ wenig Arbeit, die es ihm ermöglicht, seine Zeit für den Zugewinn an Freiheit zu nutzen. Wie der Autor könnte der Perpetual Traveler auch einen agoristischen Think-Tank oder eine libertäre Entwicklungshilfe-Organisation gründen, mit Videos und Büchern Menschen für mehr Freiheit begeistern und sein Wissen um die besten legalen Schlupflöcher weitergeben.
Individuelle Freiheit führt zu kollektiver Freiheit
Argumentiert wird manchmal, dass der Lebensstil eines Perpetual Traveler nur auf Kosten derer ermöglicht wird, die Wohlstand schaffen. Würden es alle so machen, könnte der Staat nicht mehr funktionieren. Dies ist aber genau der Punkt: Wenn mehr Leute frei leben würden, fiele die Legitimation für viele staatliche Programme weg. Staaten würden zu kleinen Einheiten mit der nötigen Spezialisierung. Tausende Liechtensteins würden blühen; und eine exponentielle technologische Entwicklung und sich ändernde Denkmuster bezüglich Territorialität würden unter Umständen eine Gesellschaft ermöglichen, die auf kompletter Freiwilligkeit fußt.
Freiheit und Freiwilligkeit sind für den Agoristen untrennbar miteinander verknüpft. Genauso wie er sich freiwillig für ein Leben in Freiheit entscheidet, zwingt er niemanden dazu, sich seinem Vorhaben anzuschliessen. Er geht indes mit gutem Beispiel voran und schafft damit die globalen Rahmenbedingungen, unter denen mehr Freiheit möglich wird. Agorismus in seinen vielfältigen Formen – ob als durchoptimierter Perpetual Traveler oder auch einfach nur als ortsgebundener Nutzer von Parallelstrukturen vielerlei Art – ist eine Strategie, die ein Leben in individueller Freiheit realisierbar macht und die dazu beitragen kann, dass sich die kollektiven Strukturen einer freien Gesellschaft auf längere Sicht herausbilden können.