Im Zuge der Wirtschaftskrise ist eine vergessene Wirtschaftstradition wieder ein wenig ins Augenmerk gerückt, die Österreichische oder Wiener Schule der Ökonomik. Wer sich bis 2007 mit dieser Tradition auseinandergesetzt hatte, konnte seine Vermögenswerte durch die Krise retten, ja sogar vermehren. Die Medien und damit die Massen wurden auf diese Tradition freilich erst später aufmerksam. Sie nahmen zudem nur eine vulgarisierte Form davon wahr, die aus überzogener Apokalyptik und wahnhaftem Goldrausch besteht. Entsprechend wachsen nun seit der deutlichen Korrektur des Goldpreises und der vermeintlichen Überwindung der Krise wieder die Zweifel. Die Devise lautet: Zurück zur Normalität!
Diejenigen, die sich wirklich tiefer mit der Wiener Schule auseinandergesetzt haben, zum Beispiel durch ein Studium am scholarium in Wien, beobachten die Dinge nüchterner, und ihre Überraschung über die Entwicklung hält sich in Grenzen. Es ist wenig überraschend, dass die Politik sich für Reflation entschied, das heißt, das Nähren des künstlichen Booms durch immer neues Geld. Was mehr überraschen mag, ist das Ausbleiben einer deutlicheren Teuerung und das Abrutschen der Edelmetallkurse. Doch Inflation und Deflation sind keine Gegensätze, sondern sich begleitende und bedingende Seiten politischer Intervention. Letztlich ist der Preisverfall von Gold und Silber nur ein Symptom des deflationären Sogs, den die Zentralbankpolitik ausgelöst hat.
Das mag paradox erscheinen und erfordert wohl eine Erklärung. Reflationäre Politik kann ihr Ziel nur dann erreichen, wenn die in die Wirtschaft gepumpten Geldmittel auch in der Realwirtschaft ankommen. Ihr Zweck hingegen ist niemals erreichbar, nämlich den Markt vorübergehend mit Liquidität zu versorgen und diese dann zeitgerecht abzuziehen. Wie die Wiener Schule so präzise erklärt, ist dies bloß Hybris der Zentralbanker, denn die entstehenden Verzerrungen können durch zentrale Steuerung über die Geldpolitik nicht mehr behoben werden. Genauso wie ein Organismus am regelmäßigen Vollfressen und Nachhungern eingehen kann, nimmt die Realwirtschaft an dieser wenig nachhaltigen monetären Bulimie Schaden.
Doch warum wird nun selbst das kurzfristige Ziel der monetären Zwangsernährung der Wirtschaft nicht erreicht? Nur wenn das neugeschöpfte, virtuelle Geld für realwirtschaftliche Werte mit geringerer Liquidität eingesetzt wird, kann es in der Realwirtschaft ankommen. Wird es jedoch für Werte ausgegeben, die hochliquide sind, werden die neuen Mittel schlicht „geparkt“ und sie laufen nicht in den Wirtschaftskreislauf. Und nun die Erklärung des Paradoxons: Je inflationärer die Politik, desto größer die Prämien für das Halten reiner Finanzwerte. Geht der Realzins gegen null, steigen die Preise von Finanzwerten scheinbar endlos in die Höhe. Für das „Parken“ von Geldern ist nun keine Gebühr zu bezahlen, sondern man verdient noch eine Prämie dafür. Immer neue Felder werden zu monetären „Parkplätzen“. Umlaufende Mittel werden aus realer Wirtschaftstätigkeit (und dazu gehört auch das Horten realer Ersparnisse) entzogen, um scheinbar risikolose Prämien zu erzielen. Daher erzeugt inflationäre Politik, sobald sie absehbar geworden ist, einen deflationären Sog, der reales Kapital und reale Ersparnisse absaugt und in Finanzwerte führt.
Die meisten aktuellen Ökonomen der Wiener Schule empfehlen, den zu hortenden Anteil der Ersparnisse nicht völlig in staatlichen Noten, Bankguthaben oder Staatsanleihen zu halten. Diese Werte sind zwar hochliquide, aber direkte Instrumente der Inflation und bieten daher keine ausreichende Souveränität über die eigenen Finanzen. Den besten Kompromiss zwischen Liquidität und Souveränität bieten physisch gehaltene Edelmetalle. Das bedeutet keinesfalls, dass deren Preis stets nominell steigen wird, dass sie sich Manipulations- und Interventionsversuchen von Staat und Banken gänzlich entziehen können oder dass das gesamte Vermögen in Edelmetalle fließen sollte (womöglich noch mit einem Kredithebel dazu, wie das weniger seriöse „Pusher“ von Goldanlagen empfohlen haben).
Edelmetalle sind keine investive Anlage, sondern decken bloß den zu hortenden „Notgroschen“ ab. In Zeiten der Inflation ersetzen sie teilweise den Sparstrumpf bzw. das Sparschwein, denn die Entwertung von staats- und bankennahen Werten ist viel zu hoch, um damit wirklich langfristige Vorsorge zu treffen. Diese Entwertung ist schleichendes Gift, schon wenige Prozente jedes Jahr ergeben langfristig eine geballte Vernichtung der Kaufkraft.
Doch Edelmetalle sind zwar liquide, aber heutzutage überwiegend passive Vermögenswerte. In einem langfristig inflationären Umfeld, das dank deflationären Sogs und mangels Alternativen noch keine Hyperinflation und Währungszerstörung auslöst, sind daher die Opportunitätskosten des Haltens von Edelmetallen hoch. Es locken vorübergehend risikolose Erträge. Spekulative Edelmetallinvestitionen werden in einem solchen Umfeld, auch ohne jede manipulative Kursdrückung, aufgelöst. Durch die inflationäre Politik werden nämlich stetig neue, einträglichere Spekulationsmöglichkeiten geschaffen. Mit Edelmetallen lässt sich an einer Blasenökonomie nicht verdienen, sie lässt sich allenfalls mit entsprechend langem Atem durchtauchen. Das ist schließlich der Zweck des Hortens: liquide Mittel zu bewahren, um zeitliche Flexibilität für Konsum- und Investitionsentscheidungen zu erreichen. Flexibilität ist eben deshalb nötig, um kein „distressed seller“ oder „buyer“ zu werden, nicht unter Not verkaufen oder kaufen zu müssen. In einer Blasenökonomie ist jedoch nichts davor gefeit, in den Wellengängen künstlicher Volatilität mitgespült zu werden. Dadurch nimmt die „Not“ zu, Investoren müssen Posten liquidieren, weil sich die Wirtschaft anders verhält, als sie erwartet haben. Daher sind Kursänderungen in einem solchen Umfeld oft dramatisch.
Inflationäre Blasenökonomien erinnern stets an Pyramidenspiele: Die Masse steigt immer zu spät ein und „zu früh“ aus. Auch Edelmetallinvestitionen können diesem Muster folgen. Wer 2012 sein Vermögen in Edelmetalle als „sichere Anlage“ investierte, weil ihm verspätet die Warnungen der Wiener Schule zu Ohren kamen, und 2013 wieder ausstieg, weil die Zweifel zu groß wurden (herrjeh, man war auf „Spinner“ hereingefallen, wie die meisten Ökonomie-Experten und Hauptstrom-Journalisten dozieren), hat womöglich 30 Prozent Nominalvermögen verloren. „Sicher“ und „Spekulation“ widersprechen sich nun einmal. Wer durch nominelle Preisveränderungen von Edelmetallen profitieren möchte, muss die Zukunft richtiger sehen als der Markt. Das ist eine seltene Kunst. Vielleicht mag das eine teure Lehre sein, sich nicht mehr durch Massenmedien (auch das Internet gehört hierzu – wenn man den üblichen Aufmerksamkeitskanälen folgt) zu bilden, denn dann bleibt man stets unbewusster Trendfolger.
Auch ein Studium der Wiener Schule der Ökonomik ersetzt keine Glaskugel und verspricht keinen Spekulationserfolg. Aber es verhindert einige gefährliche Missverständnisse. Nichts hat in der Welt des Wirtschaftens einen „intrinsischen Wert“, jeder Wert ist eine subjektive Zuschreibung durch Individuen anhand ihrer Einschätzungen und Erwartungen. Dies ist die erste Lektion der Wiener Schule – dass daraus manche einen Nominalwertfetischismus hinsichtlich „sicherer“ Goldpreise abgeleitet haben, ist schon eine seltsame Verirrung. Wer schon die Ökonomie unverzerrter Märkte nicht versteht, für den muss die heutige Blasenökonomie ein Rätsel bleiben.
Rahim Taghizadegan, Rektor des Scholarium in Wien, Dozent und Bestseller-Autor