Johann Thusbass, Vorstandsmitglied Hayek Club Zürich
Das Internet und verbesserte IT-Technologien haben neue Methoden und Praktiken in vielen Bereichen der menschlichen Tätigkeit gebracht. Der Aktivismus wurde dabei auf zwei Arten beeinflusst: Erstens gaben neue Technologien Demonstranten komfortable und leistungsfähige Mittel, um ihre Botschaften zu verbreiten und global zu mobilisieren. Und zweitens ermöglichten technologische Innovationen, Hacking-Tools, um Cyber-Operationen analog zu Strassenprotesten auszuführen. Diese Mischung von Aktivismus mit Hacking ist als “Hacktivismus» bekannt.Hacktivismus ist ein internationales Phänomen, da es keine Grenzen kennt.
Der Hacktivismus entstand in den späten 1980er Jahren zunächst in Form von Computerviren die Protestnachrichten verbreiteten. Ein Beispiel ist “Worms Against Nuclear Killers (WANK)”, ein Computer-Wurm, den Anti-Atom-Aktivisten aus Australien 1989 in den Netzen der National Aeronautics and Space Administration und dem US-Department of Energy einschleusten, um gegen Shuttles zu protestieren, die radioaktives Plutonium tragen sollten.
Ab Mitte der 1990er Jahre kamen Denial-of-Service (DoS) Angriffe dazu, in der Regel in Form von Nachrichten oder als Datenflut. So verlor etwa der Journalist Joshua Quittner 1994 den Zugriff auf seine E-Mails, nachdem Tausende von Nachrichten ihn als “kapitalistisches Schwein” verunglimpft hatten. Eine Gruppe, die sich “The Zippies” nannten, überschwemmte E-Mail-Konten im Vereinigten Königreich mit Protestmails gegen ein Gesetz, das Tanzfestivals im Freien verbieten wollte. 1995 organisierte eine internationale Gruppe namens Strano Netzwerk einen einstündigen “Netstrike” auf französische Regierungswebseiten, um gegen die Nuklear und Sozialpolitik zu protestieren. Zur vorgesehenen Zeit besuchten die Teilnehmer die Zielseiten und drückten immer wieder den “Reload” Knopf auf ihrer Tastatur, um die Seiten lahm zu legen.
1996 begannen Hacktivisten Angriffe auf Webseiten und ersetzten auf Homepages Texte mit Protestbotschaften. In einer der ersten “Web-Defacements” dieser Art änderte jemand auf der Homepage des US-Department of Justice den Header auf “Department of Injustice”.
Im selben Jahr wurde der Begriff “Hacktivismus” vom Cult of the Dead Cow (cDc) geprägt, einer Organisation, die auch “Hacktivismo” ins Leben rief, eine internationale Gruppe von Hackern und anderen Demonstranten, die ihre Anstrengungen der Förderung der Menschenrechte widmeten. Statt Cyber-Angriffe entwickelte “Hacktivismo” Software-Tools, die Meinungsfreiheit und Privatsphäre förderten. Die Gruppe prangerte die Verwendung von DoS-Attacken und Web-Defacements als gegensätzlich zur freien Meinungsäusserung an.
Zur Jahrtausendwende war Hacktivismus ein gängiges Mittel des Protestes. Es begleitete militärische und internationale Konflikte sowie Strassenproteste. Die 2001er Kollision eines amerikanischen Geheimdienstflugzeugs mit einem chinesischen Marine Jet führte zu mehr als 1400 Web-Defacements/DoS-Attacken von über 140 Gruppen, wobei die pro-chinesischen Hacktivisten deutlich zahlreicher waren als die amerikanischen.
Heutzutage wird Hacktivismus hauptsächlich mit Aktionen von “Anonymous” assoziiert, einem unorganisierten Kollektiv von Aktivisten und Hackern, die Guy Fawkes-Masken und das Bild eines Mannes im Anzug mit “?” tragen. Anonymous entstand im Jahr 2003, aber rückte erst 2008 ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, als sie gegen ein Video des Schauspielers Tom Cruise protestierten, das für die Scientology-Kirche warb. Sie haben Tausende von Operationen gegen Regierungen, Unternehmen, Kirchen, Terroristen, Drogenhändler oder Pädophile durchgeführt.
Heute gibt es unzählige Hacktivismus-Gruppen weltweit, die praktisch jeden erdenklichen Aktivismus unterstützen.
Es gibt mehrere Gründe, warum Hacktivismus so populär geworden ist. Erstens können bereits Menschen mit bescheidenen technischen Fähigkeiten mit benutzerfreundlichen Tools, wie etwa mit der “Low Orbit Ion Cannon” (LOIC) DoS-Angriffe starten. (Für DoS-Attacken drohen in Deutschland Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe (Datenveränderung nach § 303a StGB). Sobald der Angriff Erfolg hat und die betroffene Seite nicht mehr erreichbar ist, erhöht sich die maximale Freiheitsstrafe auf drei Jahre (Computersabotage nach § 303b StGB). Ausserdem können zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden.) Zweitens, anders als Strassendemonstrationen, ist Hacktivismus relativ gefahrlos für die Demonstranten. Die meisten Fälle werden nicht einmal von den Strafverfolgungsbehörden untersucht. Drittens unterstützt der Internet-Aktivismus Remote-Aktionen. Hacktivisten können, ohne zu reisen, an Aktionen teilnehmen. Viertens ermöglicht er sowohl Einzelaktionen als auch grosse kollektive Aktionen. Und fünftens sind die Auswirkungen von Hacktivismus oft direkt sichtbar, wie beispielsweise bei Webseiten, die mit eigenen Protestmitteilungen versehen werden.
Die meisten der Cyber-Angriffe bleiben straffrei, einerseits weil die Schäden in der Regel gering und die Verursacher sehr schwer zu verfolgen sind, andererseits auch aufgrund der die staatlichen Grenzen überschreitenden Aktionen.
Der Aufstieg des Hacktivismus hat zwei Herausforderungen für die internationalen Beziehungen gebracht. Die erste betrifft die Verantwortung der Staaten bei der Verfolgung von unabhängigen Hacktivisten, die auf heimischem Boden Ziele in anderen Ländern angreifen. Die zweite Herausforderung entsteht dadurch, dass selbst Regierungen Hacktivismus bewusst gegen andere Staaten einsetzen. In beiden Fällen gibt es – noch wenig fortgeschrittene – Bestrebungen, rechtliche Sanktionen einzuführen. Die durch Hacktivismus entstehenden Schäden sind indes in der Regel zu gering, als dass sie das Mass von Wirtschaftssanktionen oder gar völkerrechtswidrigen Angriffskriegen erreichen und somit für das Völkerrecht relevant wären.
Somit wird der Hacktivismus, einschliesslich staatlich geförderter Hacktivismus, wahrscheinlich weiterhin ein einfaches und kostengünstiges Mittel sein, das (nicht)staatlichen Akteuren eine attraktive Alternative zu Strassenprotesten oder bewaffneten Angriffen bietet. Hacktivismus stellt ein verhältnismässig gewaltfreies Mittel dar, das Regimekritik und schnellen Protest bei Missständen ebenso ermöglicht wie es konstruktive weltweite Zusammenarbeit und Informationsaustausch fördert. Es ist somit auf positive gesellschaftliche Veränderungen zu hoffen.