Sie zwingt Rentner gegen ihren Willen ins Altersheim, nimmt Eltern ihre Kinder weg und bringt damit Gemeinden an den Rand des finanziellen Ruins – und nun nahm sie auch im tragischen Mordfall in Flaach eine höchst fragwürdige Rolle ein. Die zentralistische und bürgerferne Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) gehört abgeschafft. Die Kesb ist aktuell in aller Munde. Der Todesfall in Flaach, in welchen die Kesb durch eine nicht nachvollziehbare Fremdplatzierung involviert war, brachte das Fass zum Überlaufen. Viele aufgebrachte Bürger machen die Kesb Winterthur-Andelfingen für die Tötung der beiden Kinder mitverantwortlich. Das Kesb-Gebäude – übrigens an einer der teuersten Lagen in Winterthur – steht unter Polizeischutz. Der Fall Flaach ist jedoch nicht der einzige, in welchem die Kesb eine dubiose Rolle spielte. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde entscheidet seit 1. Januar 2013 anstelle der bisher vom Volk gewählten Gemeindebehörden beispielsweise über Beistandschaften und Fremdplatzierungen. Sie symbolisiert zweifelsohne die sich auf dem Vormarsch befindende Ideologie der Zentralisierung, die in der einst föderalistisch geprägten Schweiz Einzug gehalten hat.
Geraubte Eigenverantwortung
Durch die Schaffung einer allmächtigen und allwissenden Superbürokratie soll dem Menschen nach und nach alle wesentlichen Entscheidungen des Lebens abgenommen werden. In anderen Worten: Anstelle der Vernunft des aufgeklärten und eigenverantwortlichen Bürgers soll die massenhafte Entmündigung treten. Das Vertrauen in die Problemlösefähigkeiten der betroffenen Individuen weicht dem ungebändigten Glauben an eine bürgerferne Staatsgewalt, die per Zwangsdekret darüber entscheidet, welche Personen in der Familie verbleiben dürfen und welche herausgerissen und fremdplatziert werden müssen.
Die Vorstellung, dass „professionalisierte“ Verwaltungsfunktionäre besser als die Familienmitglieder in der Lage seien, über das Schicksal ganzer Familien zu entscheiden, nannte Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek eine „Anmassung von Wissen“. Wir Menschen sammeln jeden Tag bewusst und unbewusst eine ungeheure Fülle von Informationen – über unsere Umgebung und unsere Mitmenschen. Je mehr wir mit einem Menschen in Kontakt kommen, desto mehr wissen wir über ihn. Weil wir eher mit Mitmenschen um uns herum, also in unserer Familie, Nachbarschaft, im Quartier oder im Dorf zu tun haben, kennen wir diese tendenziell auch besser als Menschen aus anderen Regionen. Aus diesem Grund ist der bürgernahe Föderalismus dem bürgerfernen Zentralismus vorzuziehen – vor allem, wenn es um Entscheide geht, die eine persönliche Einschätzung der Verhältnisse erfordern wie das bei Fremdplatzierungen der Fall ist.
Fehlender gesunder Menschenverstand
Die Installierung der Kesb anstelle der vielen, dezentralen Gemeinde-Vormundschaftsbehörden verkehrte aber diese bewährten Prinzipien in ihr Gegenteil. Das dahinterstehende Ideal entspricht dem Kürzel der Organisation: „Keine eigenverantwortliche, selbstbestimmte Bürger (Kesb)“! Nicht mehr gewählte Behörden in den Gemeinden, sondern „professionalisierte“, massiv aufgeblähte Bürokratien sagen fortan, wo der Hase hinläuft. Unverständlichen Entscheiden nehmen überhand, der gesunde Menschenverstand muss weichen. Die Professionalisierung führt fortan auch dazu, dass die kalte Ausführung von bürokratischen Befehlen und nicht mehr die Solidarität untereinander im Zentrum steht. Exemplarisch dafür: Die Kesb war über die vergangenen Feiertage nicht erreichbar. Notfälle durften sich nach dem Plan der Beamten also nur vor oder nach den Betriebsferien ereignen. Dies zeigt, wie viel sich die Bürokraten tatsächlich um das Wohl der Betroffenen kümmern.
Eine riesige Sozialindustrie ist aus dem Boden gewachsen, die sich ob der neuen lukrativen Möglichkeiten erfreut. Diese „sozialen“ Institutionen haben nicht primär den Menschen, sondern das Geldverdienen im Auge. Das Paradoxe daran: Je stärker die Sozialindustrie wächst, desto schneller zerfällt die zwischenmenschliche Wärme in der Gesellschaft.
Der Fall Hagenbuch
Missstände haben sich bei der Implementierung der Kesb angekündigt – und bereits findet sich reichlich Anschauungsmaterial aus der jungen Geschichte der Kesb. Eine eritreische Familie, die sich nicht integriert, verursacht der Gemeinde Hagenbuch im Kanton Zürich Kosten in der Höhe von 60‘000 Franken – im Monat! Vier der sieben Kinder sind in Heimen untergebracht, während sich ein Heer von Sozialarbeitern um die Mutter und die restlichen drei Kinder „kümmert“.
Am Ursprung dieses finanziellen Debakels stand eine Gefährdungsmeldung an die Kesb. Diese hatte daraufhin eine Beistandschaft errichten lassen, die wiederum die Familienbegleitung organisierte. Gemeindepräsidentin Therese Schläpfer kritisiert die Kesb, weil diese der Gemeinde keine Auskunft über getroffene Massnahmen gibt. Lediglich die Rechnung legt sie ihr zur Bezahlung vor. „Nach einem Jahr intensiver Familienbegleitung sollte eigentlich ein Erfolg sichtbar sein“, meint Schläpfer. „Offenbar blieb dieser aber aus. Da muss man die Qualität der geleisteten Arbeit der Betreuer schon hinterfragen.“
Schläpfer ist überzeugt, dass sich durch eine erfolgreiche Betreuung teure Fremdplatzierungen der Kinder hätten vermeiden lassen. Weil aber Fremdplatzierungen hauptsächlich von den Steuerzahlern in den Gemeinden übernommen werden, ist eine solche aus Sicht der weit entfernten Entscheidungsträger in ihren Amtsstuben oftmals bequemer. So geschehen in Hagenbuch – und das hinter dem Rücken der Gemeinde, der schliesslich lediglich die Rechnung zur Zahlung präsentiert wurde.
Uneinsichtige Kesb
60‘000 Franken pro Monat für eine einzige Familie – dass dies nicht tragbar ist, müsste selbst dem hartgesottensten Sozialisten einleuchten. Dabei spielt es für Therese Schläpfer eine unwesentliche Rolle, ob diese Kosten letztlich von der betroffenen Gemeinde oder vom Kanton übernommen werden: „Die Kosten bleiben in jedem Fall beim Steuerzahler hängen.“
Für ihre Kritik an der Kesb erntete die Hagenbucher Gemeindepräsidentin nicht etwa Verständnis und Einsicht vonseiten der Kesb, sondern eine Anzeige. Dies weil die Gemeinde angeblich falsch informiert habe. Therese Schläpfer konterte die Vorwürfe: „Die Vorwürfe sind haltlos.“ Sie wird den Verdacht nicht los, dass die PR-Abteilung der Kesb damit lediglich den sich anbahnenden Imageverlust korrigieren möchte.
Dieser Verdacht erhärtet sich beim Lesen der im Dezember 2014 von der Kesb veröffentlichten Medienmitteilung mit dem Titel „Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden arbeiten professionell und rechtskonform“. Therese Schläpfer kommentiert diese mit folgenden Worten: „Bei so vielen Juristen die bei der Kesb angestellt sind, erwarte ich, dass alles rechtskonform abläuft. Ob der Inhalt des Rechts hingegen sinnvoll und vernünftig ist, ist eine andere Frage.“
Hagenbuch ist überall
Hagenbuch ist derweil kein Einzelfall. Auch in der 600-Seelen-Gemeinde Alpthal im Kanton Schwyz überborden die Sozialausgaben. Im Jahr 2015 muss das Dorf 276000 Franken dafür budgetieren, während es im Jahr 2014 gerade einmal 5000 Franken waren. Gemeindepräsident Paul Schelbert findet gegenüber dem „Blick“ klare Worte. Ein von der Kesb betreuter Fall koste die Gemeinde über 140000 Franken. „Wir hatten schon früher ähnliche Fälle. Doch seit die Kesb die Fälle übernimmt, ist es teurer.“ Ähnliches widerfuhr der Sozialvorsteherin der Gemeinde Freienstein-Teufen, Saskia Meyer. Für die Unterbringung eines Jugendlichen in einer geschlossenen Wohngruppe soll die Gemeinde gemäss einer superprovisorischen Verfügung der Kesb 273000 Franken bezahlen, was in der kleinen Gemeinde rund 4 Steuerprozente ausmacht. Die Gemeinderätin stellte sich in der Folge quer.
Zwangseinweisung ins Altersheim
Die Kesb hat ihre Finger nicht nur im Spiel, wenn es um Fremdplatzierungen von Kindern geht, sondern auch bei Zwangseinweisungen ins Altersheim. Die „Sonntagszeitung“ deckte im Dezember 2014 den Fall vom betagten René D. aus einer kleinen Gemeinde im Oberaargau auf. Dieser musste schmerzhaft erfahren, wie schnell ihm von den Behörden gegen seinen Willen die Freiheit genommen werden kann. Im Oktober 2013 wurde er mit Polizeigewalt in ein Altersheim eingewiesen, während er sich mit Händen und Füssen dagegen wehrte: „Ich will nicht ins Heim, ich will bei meiner Tochter bleiben!“, rief er immer wieder.
Als erste Behörde unternahm die Kesb den Versuch, sich ein genaueres Bild zu machen. Sie musste entscheiden, ob René D. wieder nach Hause darf oder nicht. Bei der Gemeinde gab sie einen detaillierten Sozialbericht in Auftrag, in dem die Schlussfolgerung wortwörtlich lautete: „Wir vertreten die Meinung, dass das Ehepaar D. wieder nach Hause gehen kann.“ Doch die Kesb liess nicht locker und gab selbstherrlich auch ein psychiatrisches Gutachten über René D in Auftrag – und zwar ausgerechnet bei dem Arzt, der das Ehepaar ins Altersheim eingewiesen hatte. Auf der Basis dieses Gutachtens eines Befangenen entschied sich die Kesb schliesslich, René D. weitere sechs Monate ins Altersheim zu zwingen.
Fall Flaach
Als hätte es noch eines weiteren Beispiels bedurft, um die Herzlosigkeit und das Fehlen gesunden Menschenverstands bei der Kesb zu illustrieren, reihte sich am Neujahrestag 2015 auch noch der besonders tragische Fall Flaach in die lange Reihe des Versagens ein. Nachdem beide Eltern von Nicolas (5) und Alessia (2) inhaftiert wurden, waren die Grosseltern rasch bereit, ihre Grosskinder bei sich aufzunehmen. Trotzdem entschied sich die Kesb Winterthur-Andelfingen dazu, die Geschwister in einem Kinderheim unterzubringen. Die Grosseltern sind der Ansicht, dass die Kesb ihre Grosskinder damit in den Tod getrieben habe.
Warum ein Kinderheim besser geeignet sein soll als eine Platzierung bei Verwandten, entzieht sich dem gesunden Menschenverstand – es sei denn, man ist Rechtsprofessor. Professor Peter Breitschmid rechtfertigt in einem Interview mit dem „Tages-Anzeiger“ die Anordnung der Kesb und erklärt der aufgebrachten Bevölkerung, weshalb eine Platzierung bei Verwandten nicht erste Wahl sein dürfe: „Vielfach entbrennt unter den Verwandten ein Streit darüber, wer die Kinder bekommt. Oft ist es besser, die Behörden schaffen eine neutrale Situation, indem sie die Kinder vorübergehend entweder in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie unterbringen“. Folgt man dieser Argumentation des Professors, müsste man absurderweise auch allen getrennt lebenden Eltern ihre Kinder wegnehmen. Dass die Kesb selbst dann keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Betroffenen nimmt, wenn sich diese einig sind, zeigt ein Bericht von „20 Minuten“, der vom Schicksal der 16-jährigen Sara R. (Name geändert) berichtet. Seit über zwei Jahren lebt sie in einem Luzerner Heim und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich zu ihrer Mutter gehen zu dürfen. Die Mutter ihrerseits will das auch. «Ich hätte mein Umfeld und meine Familie zurück, dort ist mein Zuhause», ist Sara überzeugt. Der Kesb macht sie grosse Vorwürfe, weil diese nicht auf sie höre: „Das macht mich wahnsinnig wütend. Ich bin diesem System ausgeliefert, dabei bin ich doch schon 16 und weiss, was ich will.“ Sara ist sich sicher, dass alle Kinder in ihrem Heim zu Hause glücklicher wären.
Kesb abschaffen
Die Forderung einiger SVP-Exponenten, wie etwa der Thurgauer Nationalrätin Verena Herzog oder des Schwyzer Nationalrats Pirmin Schwander, die Kesb abzuschaffen, fallen mittlerweile auf fruchtbaren Boden. Sie argumentieren, lokalgewählte Gemeindebehörden könnten solche Fälle besser bewältigen, weil diese näher an den Fällen dran sind. Nur durch entschlossene Dezentralisierung können horrende Kosten für die Steuerzahler und zunehmend untragbare Staatsfinanzen verhindert werden.
Es stellt sich die Frage nach Alternativen zum heutigen Kesb-System. Neben der bereits besprochenen problematik, die durch das Zurückgeben von Entscheidungskompetenzen an die Gemeinden und Betroffene angegangen werden kann, fragt sich, ob eine staatliche Behörde überhaupt Fremdplatzierungen oder Zwangseinweisungen vornehmen darf. Die plausibelsten Entscheidungsträger sind nicht etwa Politiker oder Verwaltungsbehörden, sondern die betroffenen Kinder, Eltern und Rentner. Naheliegend ist es, die Betroffenen selbst danach zu fragen, ob sie in einem bestimmten Haushalt leben möchten oder nicht. Wenn das nicht möglich ist, weil das Kind etwa aufgrund seiner fehlenden Mündigkeit noch nicht in der Lage ist, diese Frage zu beantworten, dann kann auf das Prinzip des Elternrechts zurückgegriffen werden. Der liberale Historiker Gérard A. Bökenkamp schrieb dazu: „Es ist plausibel davon auszugehen, dass die Eltern diejenigen Menschen sind, denen das Kind am meisten bedeutet und die das Beste für das Kind im Sinne haben.“ Die Eltern wüssten in der Regel, wem sie vertrauen können und wer aus ihrer Sicht geeignet ist, sich um das Kind zu kümmern. „Die Politik kann eine vergleichbare Entscheidung kaum treffen, weil sie allgemeine Gesetze erlassen muss.“
Menschenwürde schützen
Selbst wenn eine Person von aussen betrachtet als unmündig eingeschätzt wird, rechtfertigt dies keine Zwangsmassnahmen gegen den Willen der Betroffenen vonseiten des Staates, wie dies im Fall von René D. geschehen ist. Solcher auf Gewalt basierender Zwang widerspricht der Menschenwürde diametral.
Fassen wir zusammen: Das Kesb-Experiment brachte uns Entmündigung und Bevormundung der Bürger und Gemeinden, explodierende Staatsfinanzen, ungerechtfertigte Zwangsmassnahmen sowie Mord und Totschlag. Höchste Zeit, es in Zukunft ohne Kesb zu versuchen.
Olivier Kessler, Stv. Chefredaktor Schweizerzeit