Roger Darin, Betriebsökonom FH/HWV, ehemaliger Investmentbanker im Devisenhandel für den asiatischen Markt, Autor und Referent insbesondere für die Bereiche Fintech und Startups, mit Bitcoin beschäftigt er sich seit fünf Jahren
Unter Bitcoinern gibt es viele Anhänger der Österreichischen Schule und somit Kritiker von Keynes Geldpolitik. Das Umgekehrte scheint weniger der Fall zu sein: Bei Weitem nicht alle Hayekianer können sich für Bitcoin erwärmen.
Der erste Einwand der Hayekianer gilt dem intrinsischen Wert von Bitcoins: Warum sollte man eine Währung, die nicht durch Goldreserven gedeckt ist (Fiatwährung), mit einer ersetzen, die scheinbar ebenso aus dem Nichts entsteht? Das Problem ist, dass man mit dieser Betrachtung nur einen Teilbereich berücksichtigt von dem, was Geld ist – Wertaufbewahrungsmittel, Recheneinheit und Tausch- beziehungsweise Zahlungsmittel.
Erster Streitpunkt: Die Funktionen von Geld
Nur wenige Bitcoiner dürften argumentieren, dass Bitcoin eine Recheneinheit ist. Schliesslich beobachten die meisten die Wertentwicklung zum US-Dollar mit grösstem Interesse und passen ihre Preise entsprechend an (kein Bitcoiner will heutzutage noch 10’000 Bitcoin für zwei Pizzas bezahlen, was der ersten Transaktion in Bitcoin entsprach). Hayekianer wiederum sehen weder Fiatwährungen noch Bitcoin als sicheres Wertaufbewahrungsmittel. Denn obschon beispielsweise das Britische Pfund schon über 300 Jahre alt ist, kann man heute wie im alten Rom mit nur einem Talent Gold (entspricht etwa 33kg oder CHF 1.35mio) eine schöne Villa kaufen.
Bitcoiner und Hayekianer dürften sich einzig über die Vorzüge einig sein, die Bitcoin als Tausch- und Zahlungsmittel bietet: Das gegenwärtige Finanzsystem ist zwar global etabliert. Mit der Einfachheit von Bitcoin kann es aber nicht mithalten: Etwa wenn zwei Personen Besitzansprüche austauschen, ohne eine Drittpartei involvieren zu müssen. Aus diesem Grund erfüllt Bitcoin auch die von Friedrich August von Hayek geforderte Eigenschaft von der Denationalisierung des Geldes – wobei Hayek wohl bereits zufrieden wäre wenn die Kontrolle über das Geld nicht mehr in staatlicher Hand wäre.
Zweiter Streitpunkt: Die Funktionen des Staats
Interessanterweise würde das den Kreis schliessen. Schliesslich führten die Finanzkrisen der letzten 300 Jahre zu Rufen, das System staatlich zu kontrollieren, um es stabilisieren zu können. Tatsächlich ist die Finanzbranche heute wohl die am stärksten regulierte Branche der Welt. Die Stabilität des Finanzsystems ist allerdings nicht der Fokus dieser Regulierung. Stattdessen soll sie den Zugang zu diesem System kontrollieren.
Auch in der Schweiz ist das nicht anders. Nehmen wir das Beispiel eines selbständigen Vermögensverwalters, der sich bei einer entsprechenden Selbstregulierungsorganisation (SRO) meldet, die die Vorgaben der Finma beziehungsweise des Gesetzgebers umsetzt. Er wird kaum Rechenschaft darüber ablegen müssen, wie er die Vermögen seiner Kunden anlegt. Vorgeschrieben ist einzig, dass er das Risikoprofil korrekt erfasst, mit dessen Hilfe er eine für den Kunden massgeschneiderte Anlagestrategie erarbeitet. Am meisten Aufmerksamkeit bekommen die Aspekte des Geldwäschereigesetzes (GwG oder englisch auch Anti-Money-Laundering oder AML genannt). Dabei geht es darum, Kriminellen, Terroristen oder sanktionierten Staaten zu verunmöglichen, dass sie das Finanzsystem für ihre Zwecke nutzen.
Nun kann man argumentieren, dass selbst Hayek dafür war, dass der Staat für mehr als die Herstellung der Sicherheit verantwortlich sei: „Die Aufgabe des Staates besteht darin, eine Rahmenordnung zu schaffen, in der Einzelpersonen und Gruppen erfolgreich ihre jeweiligen Ziele verfolgen können, und gelegentlich seine Besteuerungsgewalt zur Bereitstellung von Leistungen zu gebrauchen, die aus irgendwelchen Gründen der Markt nicht anbieten kann.“ (Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, 1979, S. 446) Es ist also durchaus denkbar, dass Hayek dem Staat zugestanden hätte, gewisse Spielregeln für das Finanzsystem zu definieren – so zum Beispiel, um Terrorismusfinanzierung zu unterbinden.
Genau solche Einschnitte sind aber vielen Bitcoinern zuwider. In ihren Augen ist Technologie grundsätzlich wertneutral. Sie kann sowohl für Gutes als auch für Böses verwendet werden. Bisher wehrten sie sämtliche Bemühungen ab, das Bitcoin-Netzwerk zu zensurieren oder bestimmten Gruppen die Teilnahme an ihm zu verunmöglichen. Erst wenn Bitcoin die alte Finanzwelt tangiert, greifen die staatlichen Einschränkungen – etwa im Zusammenspiel mit Onlinebörsen, auf denen Bitcoin in Fiatwährungen und umgekehrt getauscht werden können.
Untergräbt Bitcoin die Sicherheitsbemühungen des Staates, die Hayek forderte?
Ein anderes Beispiel ist der Fall von Bernard von Nothaus, dem Schöpfer von „Liberty Dollar“, einer von ihm geprägten Münze. Vor fünf Jahren verurteilte ihn die US-Staatsanwaltschaft wegen „Fälschung zu terroristischen Zwecken“. Sie argumentierte, dass unbescholtene Bürger die „Liberty Dollar“-Münzen mit echtem Geld, also US-Dollars, verwechseln könnten. Der „Liberty Dollar“ sei deshalb Falschgeld, das die amerikanische Währung untergrabe. Ist Bitcoin nun der endgültige Totengräber dieser Sicherheitsbemühungen des Staates? Oder ist er Ausdruck einer neuen Epoche wirtschaftlicher Selbstbestimmung?
Horrorfilme stellen das Böse oft durch Dinge dar, die wir im ersten Moment mit unschuldiger Wehrlosigkeit verbinden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Film „Poltergeist“ (USA, 1982). Es braucht Zeit, bis wir wissen, ob wir uns nun in einem Horror- oder Familienfilm befinden. Dasselbe gilt für die Kryptowährung – wir brauchen Zeit, bis wir Bitcoin vollumfänglich einschätzen können. Möglicherweise sogar wird sich die Frage nie schlüssig beantworten lassen. Das globale Experiment aber deshalb nicht weiter gedeihen zu lassen, stellte allerdings einen Fehler dar, den man nicht wieder gutmachen könnte.